SC002 Die gefährdete Kornkammer Europas

Soilcast Folge 002: Die gefährdete Kornkammer Europas

Zum Zeitpunkt dieser Aufnahme sind bereits über 10 Monate seit dem völkerrechtswidrigen Einmarsch Russlands in der Ukraine vergangen. Uns erreichen in Deutschland weiterhin täglich Meldungen über die Kriegshandlungen aber das Interesse daran hat leider stark abgenommen.

Krieg ist immer schrecklich, das gilt schon bei oberflächlicher Betrachtung. Je detaillierter man sich aber mit den Auswirkungen von Krieg beschäftigt, umso mehr offenbart sich dessen Sinnlosigkeit. Ich möchte die zweite Folge des Soilcast der Ukraine und ihren Böden widmen und einen Fokus darauf richten, wie der Krieg in diesem Zusammenhang die Lebensgrundlage vieler Menschen zerstört.

Wenn wir über die Ukraine und den europäischen Teil Russlands reden, dann sprechen wir auch von der Kornkammer Europas. Das hat offenbar etwas damit zu tun, das in diesen Ländern sehr viel Getreide produziert wird, aber warum ausgerechnet dort? Das hat natürlich etwas mit den Böden zu tun, sonst wären wir hier in diesem Podcast ja gar nicht damit befasst.

Die ertragreichsten Böden in diesen Landstrichen sind Schwarzerden, die man angelehnt an das Russische auch als Tschernosem bezeichnet. Zu den Schwarzerden wird es zu einem späteren Zeitpunkt sicherlich eine eigene Folge geben, da sie sehr interessant und vielfältig sind. Wir begnügen uns an dieser Stelle einmal mit Rahmeninfos zu diesen Böden.

Schwarzerden heißen so, weil sie schwarz sind. Naja, sehr dunkel zumindest. Und das liegt an ihrem hohen Gehalt an organischer Substanz. In Folge 1 habe ich ja bereits erwähnt, dass Bodenlebewesen Treiber der Bodenentwicklung sind, da sie organische Substanz ab- und umbauen. Je nach den äußeren Bedingungen sind die Bodenlebewesen aber unterschiedlich aktiv, also wird die organische Substanz mal mehr und mal weniger stark abgebaut.

In den Steppengebieten Osteuropas finden wir mit einem kontinentalen Klima Bedingungen, die die Aktivität der Bodenlebewesen hemmen und das führt vereinfacht gesagt dazu, dass die anfallende organische Substanz nicht vollumfänglich abgebaut wird, sondern sich im Oberboden anreichert. So entstehen im Laufe von Jahrhunderten Schwarzerden, deren organisch geprägte Oberbodenhorizonte eine Mächtigkeit von mehr als 40 cm aufweisen, teilweise sind die sogar bis zu einem Meter stark.

Schwarzerden sind hervorragende Pflanzenstandorte und das erklärt auch, warum auf ihnen mit Vorliebe Landwirtschaft betrieben wird. Die Ukraine ist dabei ein Schwarzerden-Global-Player; mit 27,8 Millionen Hektar beherbergt sie rund 9 Prozent der weltweiten Schwarzerde-vorkommen.

Pro Einwohner der Ukraine gibt es also mehr als einen halben Hektar Schwarzerden, nur Russland hat da einen größeren pro-Kopf-Wert, aber das wird ja momentan nicht angegriffen und deswegen sprechen wir jetzt einmal über die bodenkundlichen Probleme, die die russische Aggression auf ukrainischer Seite derzeit verursacht.

In der Ukraine gab es vor dem Überfall ein großes Problem mit der Erosion von landwirtschaftlich genutzten Böden. Besonders in den südlichen Provinzen sind durch intensive Landwirtschaft, zum Beispiel durch häufiges Pflügen und lange Brachzeiten, massive Erosionserscheinungen aufgetreten.

Zusätzlich belasten Kriegshandlungen derzeit gerade in diesen südlichen Provinzen die Böden massiv und zerstören sie. Man kann jetzt diese Zerstörungen beliebig einteilen aber wir wollen das mal in drei Kategorien tun:

Physikalisch wird ein Boden zum Beispiel durch Explosionen in Mitleidenschaft gezogen, das kann man sich noch am besten vorstellen. Da, wo ein Explosionstrichter ist, ist halt kein Boden mehr und da kann man auch erstmal keine Landwirtschaft betreiben.

Großflächiger fallen jedoch chemische Kontaminationen aus. Wo Kriegshandlungen stattfinden, da gelangen zahlreiche Schadstoffe in den Boden, die zum Beispiel aus Brenn- und Treibstoffen stammen. Auch Projektile enthalten Schadstoffe, so ist panzerbrechende Munition zum Beispiel uranhaltig. Das ukrainische Ministerium für Ökologie und natürliche Ressourcen wies bereits im Sommer 2022 über 122.000 Sprengmittel und Bomben aus, die aufgrund ihres Umweltrisikos unschädlich gemacht wurden, inzwischen sind es gewiss weit mehr. Auch die Zerstörung von Fabriken kann lokal zu einer enormen Freisetzung von Schadstoffen führen. In der Ukraine gibt es 5 Kernkraftswerksstandorte und weit mehr Atommülllagerstätten. Ich brauche nicht zu erwähnen, was für ein Katastrophenpotenzial da vorhanden ist!

Sind Schadstoffe einmal im Boden, so führen sie sehr häufig in ausreichender Konzentration zum Absterben von Bodenlebewesen. Viel mehr noch: die an diesem Ort wachsenden Pflanzen sterben ab und damit verliert der Boden auch einen wichtigen Schutz vor Wind- und Wassererosion. Wir können das dann als biologische Bodenzerstörung bezeichnen.

All diese Schädigungen verschwinden auch nicht einfach, wenn der Krieg vorbei ist. Es ist eine erstaunlich häufige Fehlvorstellung von Menschen, dass Schadstoffe in Böden nach kurzer Zeit einfach „verschwinden“. Es gibt umweltbeständige, also persistente Schadstoffe, die können Jahrzehnte in Böden verbleiben. Aber auch das ist wieder Stoff für andere Folgen…

Die Menschen in den umkämpften Gebieten werden weniger Landwirtschaft betreiben können, so viel steht jetzt bereits fest. Die Erträge werden sinken und als ob das nicht schlimm genug für die Ukrainerinnen und Ukrainer wäre hat das auch erhebliche Auswirkungen auf die globale Nahrungssicherheit.

Vor dem Krieg hat die Ukraine jährlich allein etwa 19 Millionen Tonnen Weizen exportiert. Dazu kamen noch erhebliche Mengen Sonnenblumenöl, Raps und Mais. Bedeutend ist die Frage, wohin diese Agrarerzeugnisse exportiert wurden: in Länder wie die Türkei, Ägypten, Indonesien, Bangladesh und den Jemen, das waren zumindest die Hauptabnehmer. All diese Länder sind auf Hilfe aus dem World Food Programme angewiesen, weil sie die menschenwürdige Nahrungsversorgung ihrer Bevölkerung aus unterschiedlichen Gründen nicht sicherstellen können.

Zusätzlich reagieren die globalen Märkte mit einem Preisanstieg für Agrarerzeugnisse. Ich bin gewiss kein Ökonom, aber auch ich weiß, dass solche Preissteigerungen auch weitere Länder treffen, in denen die Nahrungsversorgung nicht gesichert ist. Der Hunger in der Welt wird ein noch größeres Problem als er es ohnehin schon war, das muss man sich einmal vorstellen…

Dieser Krieg ist also kein kleinräumiges Scharmützel oder „nur“ auf das Kampfgebiet beschränkt, er gefährdet Menschenleben überall auf der Welt.

Bevor jetzt entsprechende Zuschriften kommen: das alles ist keine Schwarzmalerei, das ist seit über 10 Monaten Realität und mit jedem Tag verschlimmern sich die genannten Zustände. Und dabei haben wir gar nicht über die humanitäre Lage im Kampfgebiet gesprochen, über das Sterben und Leiden der Zivilbevölkerung.

Eingangs habe ich gesagt, dass sich die Sinnlosigkeit von Krieg besonders dann offenbart, wenn man sich mit den Details beschäftigt. Mit dieser Folge möchte ich dazu beitragen, dass solche Details ein wenig öfter von den Menschen gehört werden.

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